Contentnote: Es geht (kurz) um Diäten und um Beispiele für Fettfeindlichkeit
Ich bin den größten Teil meines Lebens dick. Und wie viele andere (alle?) Menschen auch, habe ich ursprünglich gelernt, dass dick sein schlecht ist und dünn sein gut.
Ich habe das früher als wahr hingenommen und habe ab ca. 13 immer wieder Diäten gemacht. Weil ich ja dünn sein wollte. Weil das eben (vermeintlich) besser war als dick sein.
Heute bin ich immer noch dick. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, dick zu bleiben und mit dem Körper, den ich habe, ein gutes Leben zu führen.
Wichtig dafür waren zwei große Aha-Momente in meinem Leben:
Aha-Moment 1: „Ich werde nie dünn sein“
Mit 24 habe ich meine letzte Diät gemacht.
Ich war mit 23 aus einem Auslandsjahr wiedergekommen und wog so viel wie noch nie. Also habe ich wieder versucht, abzunehmen.
Es passierte das, was immer passierte: Ich nahm ein paar Kilo ab und wurde dann genervt davon, so intensiv auf´s Essen zu achten.
Zudem war ich gelangweilt von dem, was ich so aß – auch wenn die Diät versprochen hatte, dass ich alles essen könnte.
Und dann gab es diesen einen Moment, wo auf einmal diese Gedanken da waren:
Ich müsste mein Leben lang extrem hungern, um dünn zu sein. Und ich müsste mein ganzes Leben lang damit verbringen, sehr viel über Essen nachzudenken und über das, was ich esse und nicht esse.
Für mich war klar, dass ich beides nicht wollte: Hungern und sehr viel Zeit damit verbringen, über Essen nachzudenken.
(Was mein 24jähriges Ich noch nicht wusste: Seit Ende der 1950er zeigen Studien, dass 95 – 98 % der Versuche, Gewicht zu reduzieren, scheitern. Körpergewicht ist also nicht so kontrollierbar wie es häufig dargestellt wird.)
Nach dieser Erkenntnis, dass ich in diesem Leben wahrscheinlich nie dünn sein werde, kam langsam die Entscheidung für das dick sein.
Bewusst dick sein – ohne Schuldgefühle und ohne Entschuldigungen.
Auch wenn der Anfangspunkt ein plötzlicher Aha-Moment war:
Die bewusste Entscheidung, dick zu sein, ist eine, die ich seitdem immer wieder getroffen habe und immer wieder treffe.
Es gab in den letzten 20 Jahren immer wieder Situationen, in denen der Gedanke aufblitzte, dass ich ja doch noch mal versuchen könnte, abzunehmen und dünn(er) zu werden.
3 Beispiele:
Situation 1:
Wenn ich versucht habe, in Geschäften Kleidung zu kaufen und sah, wie viel spannende Auswahl es in den Größen gab, in die ich nicht reinpasse.
Was mir geholfen hat:
Mir immer wieder klar zu machen, dass nicht mein Körper falsch ist, sondern dass die Modeindustrie es ist. Und dass ich nicht meinen Körper verändern möchte, um in kaputte Strukturen reinzupassen.
Situation 2:
Monate vor einer Sommerakademie mit über 100 Schüler*innen, die ich geleitet habe. Weil ich weiß, wie es ist als dicke Frau in neue Räume zu kommen, sehr sichtbar zu sein und sofort beurteilt zu werden aufgrund meines Körpers (z.B. als weniger kompetent).
Und das hier war ein sehr großer Raum, in dem sehr viele Menschen waren, die mich sehen und beurteilen würden.
Was mir geholfen hat:
Zu verstehen, dass es gar nicht wirklich darum ging, dünn sein zu wollen. Sondern um den Wunsch, nicht aufgrund meines Körpers abgewertet zu werden in einer Situation, die mich sowieso schon nervös gemacht hat.
Mit dieser Klarheit konnte ich dann mit diesen Gefühlen einen Umgang finden.
Situation 3:
Als ich im Sommer 2020 festgestellt habe, dass ich innerhalb kurzer Zeit mehrere Kilo zugenommen hatte und einige Kleidungsstücke nicht mehr gut passten.
Abnehmen fühlte sich im ersten Moment wie eine vermeintlich einfache Lösung an und würde mir ersparen, eine Kleidergröße höher zu wandern.
Was mir geholfen hat:
Zu akzeptieren, dass mich mein Körper vorher in einer sehr herausfordernden Zeit am Leben erhalten hat und in dieser Krisenzeit eben ein paar Kilo schwerer geworden ist.
Ich habe mir meine Gefühle genauer angeschaut: Das Unwohlsein und die Scham, die auftauchten bei dem Gedanken, dass ich nun noch eine größere Kleidergröße brauche.
Für mich war es hilfreich, mir klar zu machen, dass hier vor allem meine verinnerlichte Fettfeindlichkeit eine Rolle spielt. Und dass dicker werden an sich nichts schlimmes ist.
Ich habe mich daran erinnert, wie ich mit meinem Körper umgehen möchte: Ich möchte gut für ihn sorgen – unter anderem damit, dass ich Kleidung trage, in der ich mich wohl fühle und die bequem ist. Wenn ich nun zukünftig meine Kleidung in einer größeren Größe kaufe, sorge ich dafür, dass es mir in meinem Körper weiterhin gut geht.
Was diese Beispiele zeigen:
Eine bewusste Entscheidung, den eigenen Körper so zu akzeptieren wie er ist, ist nichts einmaliges, sondern ein Prozess.
In einer fettfeindlichen Welt ist es normal, dass es immer mal wieder schwer ist und Zweifel aufkommen.
Mir hilft es, in solchen Momenten immer wieder genau hinzuschauen, was gerade bei mir los ist und warum dünn(er) sein gerade wieder so attraktiv wirkt. Und mich dann gut um meine darunter liegenden Gefühle, Bedürfnisse und Glaubenssätze zu kümmern.
Was übrigens auch normal ist:
Dass es schwer ist, sich von der Idee des Dünnseins zu verabschieden. Und dies zu betrauern.
Meine Erfahrung zeigt mir, dass meine Lebensentwürfe alle auch in einem dicken Körper erfüllbar sind: Ich führe in einem dicken Körper ein gutes Leben.
Um die gesellschaftliche Ebene nicht auszuklammern:
Es ist aber auch Realität, dass mir als dicker Mensch weiterhin Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten verwehrt bleiben.
Ich werde weiter unfreundlicher behandelt werden als viele dünne Menschen. Ich werde weiter damit leben müssen, angestarrt zu werden, wenn ich in der Welt unterwegs bin.
Und ich werde immer wieder in Situationen sein, in denen Fettfeindlichkeit „so nebenbei“ passiert und ich dann entscheiden muss: Spreche ich es an oder nicht? (Und habe ich gerade die Energie für den Konflikt, den das Ansprechen oft mit sich bringt?)
Wie ich damit umgehe:
Ich versuche auf der gesellschaftlichen Ebene etwas zu verändern – weil die das Problem ist, nicht mein Körper.
Meine Schwerpunkte dabei: Ich mache Bildungsarbeit zum Thema Gewichtsdiskriminierung und unterstütze Menschen dabei, sich in ihrem Körper wohler zu fühlen.
Außerdem schreibe ich Texte wie diesen hier 😉
Aha-Moment 2: „Ich kann die Kleidung tragen, die mir gefällt“
Nachdem ich entschieden hatte, dick zu bleiben, habe ich nicht sofort alle ungeschriebenen Regeln für dicke Menschen über Bord geworfen.
Einige dieser Regeln betreffen Kleidung:
Von dicken Menschen wird erwartet, dass sie Kleidung tragen, die ihre Körper nicht betont, sondern kaschiert.
Dass sie nichts auffälliges tragen, was ihren Körper noch sichtbarer macht.
Und dass sie bloß nichts tragen, was sie noch dicker erscheinen lässt. Also zum Beispiel Kleidung mit Querstreifen.
Bis ich Anfang 30 war, habe ich immer noch relativ viel schwarz und gedeckte Farben getragen. Dabei mochte ich immer schon knallige, „laute“ Farben.
Mit Anfang 30 hatte ich dann aber einen weiteren Aha-Moment:
Ich könnte ja Kleidung nur noch danach bewerten, ob mir gefällt, was ich sehe, wenn ich an mir herunter schaue.
Wenn ich das so schreibe, klingt es für mich fast schon banal. Aber für mich war es lange völlig selbstverständlich, einen (vorgestellten) Blick von außen auch automatisch als meine Perspektive und meinen Maßstab zu übernehmen.
Diese veränderte Perspektive hat bei mir dazu geführt, dass ich mich inzwischen sehr anders kleide als früher:
Mein erster bewusster Kauf war damals ein sehr knalliger, relativ enger, orangefarbener Pullover.
Ich habe außerdem angefangen, Kleider zu tragen und dann für 10 Jahre fast nur noch Kleider getragen.
Ich habe entdeckt, dass meine Lieblingsfarbkombi orange und pink ist.
Ich habe gemerkt:
Mir geht es besser, wenn ich genau die Kleidung trage, auf die ich Lust habe. Ich fühle mich dann freier und mehr wie ich selbst.
Was dann wiederum dazu führt, dass ich mich in meinem Körper wohler fühle.
Was ich leider auch immer wieder bemerke:
Wenn ich die Kleidung trage, die mir gefällt und damit die ungeschriebenen Regeln für dicke Menschen breche, werde ich mehr angestarrt und höre mehr diskriminierende Äußerungen.
Was mir dann hilft:
Mir immer wieder bewusst zu machen, was mein Maßstab für Kleidung ist: Dass mir die Farben gefallen, dass sich der Stoff gut auf meiner Haut anfühlt und dass es bequem ist (mich also nicht einengt).
Mein Maßstab ist nicht, ob meine Kleidung anderen gefällt.
Außerdem finde ich diesen Gedanken hilfreich:
Es geht mich nichts an, was andere über mich denken 😉
Auch hier war und ist diese Entwicklung ein Prozess.
Es tauchen immer mal wieder Unsicherheiten auf, wie zum Beispiel:
Kann ich wirklich die kurzen Shorts tragen? (Es stellte sich raus: Ja)
Kann ich wirklich ärmellose Kleider und Tops tragen? (Auch hier: Ja)
Zeichnet sich mein Bauch sehr ab in diesem Kleidungsstück? (Ja – und das ist ok)
Diese Unsicherheiten dürfen da sein – und dann auch wieder gehen. Das ist ok.
Übrigens:
Aktuell trage ich wieder mehr Hosen und habe eine schwarz-weiß-Phase.
Was ich gerade am liebsten trage: Weiße T-Shirts mit schwarzen Querstreifen.
Wenn du auch Frieden schließen willst mit deinem Körper: Ich habe ein 6 Wochen Programm erstellt, in dem du lernst, dich mit deinem Körper anzufreunden. Hier erfährst du mehr darüber.