Andere Sichtweisen auf Körper und Gewicht - und wie sie dir helfen können
In diesem Text geht es um 2 Perspektiven auf das Thema Körper, die mich stark beeinflusst haben und die mir geholfen haben, anders mit meinem Körper umzugehen.
Eine Sache, die ich sehr faszinierend (und frustrierend) finde:
Unser Denken über Körper und Gewicht wird dominiert von einer bestimmten Erzählung.
Diese Erzählung ist nur eine von mehreren möglichen Erzählungen - aber sie wirkt oft so als wäre es die einzig mögliche und als wäre sie wahr.
Die Erzählung lautet:
Dünn sein ist gut
Dick sein ist schlecht
Wer dick ist, ist ungesund
Dick sein ist das Ergebnis von persönlichem Versagen - wer dick ist, hat sich nur nicht genug angestrengt
Eine Hürde für das Thema Körperakzeptanz ist es, dass diese Erzählung so dominant ist. Wir alle hören sie von klein auf immer und immer wieder.
Es ist schwer zu erkennen, dass es auch möglich ist, ganz anders über Körper und Gewicht nachzudenken. Und dass es damit auch möglich ist, ganz anders auf den eigenen Körper zu schauen und mit ihm anders umzugehen.
Hier wird es um 2 andere Erzählungen gehen, die mich geprägt haben.
Beide Sichtweisen beeinflussen stark, wie ich mit meinem Körper umgehe und sie bilden die Grundlage meiner Arbeit zum Thema Körper.
Zwei andere Perspektiven auf das Thema Körper
Mein Blick auf das Thema Körper ist von zwei Denkrichtungen geprägt, die auch gleichzeitig politische Bewegungen sind:
Fat Acceptance
Die erste Denkrichtung habe ich ursprünglich mal als „Fat Acceptance“ kennengelernt. Heute würde ich eher die Begriffe „Fat Justice“ oder auch „Fat Liberation“ dafür nutzen.
Es gibt keinen guten deutschen Namen dafür. Am ehesten würde wahrscheinlich „Bewegung gegen Gewichtsdiskriminierung“ oder „Bewegung für die Rechte dicker Menschen“ passen.
Aus dieser Bewegung kommt der Gedanke, dass alle Körper immer gute Körper sind:
Egal wie sie aussehen,
Egal wie viel sie wiegen,
egal ob sie gesund oder krank sind,
egal ob sie so „funktionieren“ wie es erwartet wird,
Egal wie geschlechtlich eindeutig oder uneindeutig sie sind.
Diese radikale Perspektive stand hinter dem ursprünglichen Verständnis von Body Positivity, was ja inzwischen leider sehr verwässert ist.
Was bedeutet „Fat Acceptance“ für mich und meine Arbeit?
Ich bin überzeugt davon, dass es alle Menschen verdient haben, würdevoll und mit Respekt behandelt zu werden - völlig unabhängig von ihrem Körper.
Ich bewerte Körper nicht.
Aus meiner Sicht ist keine Körperform irgendwie besser oder schlechter als andere.
In Bezug auf Gewicht heißt das:
Ich nehme nicht an, dass dünn sein besser ist als dick sein.
Ich nehme nicht an, dass dünn sein automatisch bedeutet, dass eine Person gesund ist.
Dementsprechend nehme ich auch nicht an, dass ein dicker Körper automatisch ungesund ist.
Zwei weitere Gedanken, die ich von der Fat Acceptance- oder Fat Liberation Bewegung gelernt habe, sind:
Es gibt es keine moralische Verpflichtung, gesund zu sein
Für einen würdevollen und diskriminierungsfreien Umgang mit Menschen ist es völlig egal, ob sie sich vermeintlich gesund ernähren oder Dinge machen, die vermeintlich gesund sind, wie z.B. viel Sport - oder überhaupt Sport
Außerdem denke ich nicht, dass Menschen so viel Kontrolle über ihren Körper und ihre Gesundheit haben, wie oft vermittelt wird.
Das denke übrigens nicht nur ich, es gibt inzwischen einiges an Forschung dazu.
Ein Beispiel:
Seit Ende der 1950er zeigen Studien, dass 95 - 98 % der Versuche, Gewicht zu reduzieren, scheitern. Körpergewicht ist also nicht so kontrollierbar wie es häufig dargestellt wird.
Auf das Thema Gesundheit und Gewicht gehe ich in einem anderen Blogartikel genauer ein.
“Disability Studies“
Die zweite Denkrichtung, die sehr geprägt hat, wie ich auf das Thema Körper schaue, nennt sich „Disability Studies“.
Auch hier gibt es keinen guten deutschen Namen dafür. Übersetzt könnte man sagen „Studien über Behinderung“
In den Disability Studies wird darüber nachgedacht, was „Behinderung“ eigentlich ist, wie die Idee von „Behinderung“ und „Nicht-Behinderung“ und körperlicher Normalität entstanden ist und immer wieder neu entsteht.
Aus Sicht dieser Bewegung, war und ist Behinderung immer ein normaler Teil der menschlichen Existenz.
Und die Trennung zwischen „behindert“ und „nichtbehindert“ ist nicht so klar wie oft getan wird.
Hier geht es also erst in erster Linie nicht um Körpergewicht, dick sein, etc. - auch wenn es Überschneidungen gibt.
Im Mittelpunkt stehen Themen wie:
Welche Körper gelten als „normal“ - und welche nicht?
Welche gesellschaftlichen Erwartungen gibt es in Bezug auf körperliche Leistungsfähigkeit?
Wer wird als fähig, kompetent angesehen - und wer eher nicht?
Themen, die für mich zum Bereich Körperakzeptanz dazu gehören.
Denn: Wenn ich meinen Körper akzeptieren möchte, dann bedeutet das auch, zu akzeptieren, was mein Körper leisten kann - oder auch nicht leisten kann.
Das bedeutet, ich muss einen Umgang damit finden, dass mein Körper nicht so funktioniert und / oder nicht so leistungsfähig ist wie es gesellschaftlich erwartet wird.
Früher oder später ist jeder Körper nicht mehr so leistungsfähig wie es gesellschaftlich erwartet wird - für manche Menschen kommt dieser Punkt erst wenn sie älter werden.
Für viele Menschen kommt dieser Punkt schon früher durch Krankheiten, Behinderung, etc,
Was bedeuten die „Disability Studies“ für mich und meine Arbeit?
Für mich ist der Gedanke zentral, dass es den „normalen Körper“, bei dem alles immer problemlos „funktioniert“ und der immer eine bestimmte Leistung bringen kann, nicht gibt.
Das bedeutet für mich, dass ich nicht einfach voraussetze, dass ein Körper bestimmte Sachen kann.
Und dass ich kritisch auf viele „Leistungsanforderungen“ schaue, die es in unserer Gesellschaft in Bezug auf Körper gibt:
Zum Beispiel die Idee, dass alle erwachsenen Menschen immer in der Lage sein müssen 40 Stunden pro Woche zu arbeiten (oder überhaupt in der Lage sein müssen, zu arbeiten)
Diese Sichtweise bedeutet für mich außerdem, dass ich es wichtig finde, immer wieder genau hinzuschauen:
Wie geht es meinem Körper?
Was kann mein Körper heute leisten?
Erwarte ich gerade von meinem Körper, dass er etwas leistet, was er im Moment gar nicht leisten kann?
Und wenn ich das tue: Wie kann ich mit diesen Erwartungen anders umgehen?
Fazit
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es möglich ist, anders auf das Thema Körper zu schauen. Es gibt nicht nur die eine Erzählung - auch wenn diese sehr laut ist.
Aus meiner Sicht ist es für das Thema Körperakzeptanz auch notwendig, andere Perspektiven zu kennen, um den Blick auf den eigenen Körper zu verändern.
Falls diese Perspektiven für dich neu sind, wünsche ich dir viel Spaß beim Ausprobieren dieser Sichtweisen und hoffe, dass sie für dich hilfreich sind