Kann Diskriminierung krank machen? Was die Gesundheit dicker Menschen wirklich schädigt.
Wir wissen nicht, was genau der Zusammenhang zwischen hohem Körpergewicht und bestimmten Gesundheitsrisiken ist.
Was wir aber wissen: Bei „dick sein ist ungesund“ und „dünn sein ist gesund“ handelt es sich um Vorurteile - und nicht um wissenschaftlich abgesichertes Wissen
Hier geht es um eine mögliche Erklärung für Studien, in denen ein hohes Gewicht in Zusammenhang mit bestimmten Krankheiten gebracht wird:
Es liegt nicht am Gewicht selbst, sondern an der Diskriminierung, die dicke Menschen erleben.
Nach einem Blick auf die negativen Folgen von Diskriminierung allgemein, schaue ich auf die gesundheitlichen Folgen von Gewichtsdiskriminierung.
Was sich negativ auf Gesundheit auswirkt: Diskriminierung
Diskriminierung verursacht immer Stress - egal auf welches Merkmal eines Menschen sie sich bezieht.
Also egal ob Menschen aufgrund:
ihrer Herkunft,
ihrer „Hautfarbe“,
ihrer sexuellen Orientierung,
Ihrer Behinderung,
ihres Alters oder
ihres Gewichts / ihrer Körperform diskriminiert werden.
Um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Diese Art von Stress wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus.
Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder auftaucht ist „Minority Stress“ - auf Deutsch „Minderheitenstress“
„Minority Stress“ bezeichnet eine Art von Stress, die Menschen erleben, die Minderheiten angehören.
Also zusätzlicher Stress, der durch Gewalterfahrungen, weniger Zugangs- und Teilhabemöglichkeiten und auch durch viele kleine, subtile Diskriminierungserfahrungen im Alltag entsteht.
Die Idee, dass diese Art von Stress sich negativ auf die Gesundheit auswirkt - sowohl auf die mentale als auch auf die körperliche Gesundheit - wird auch immer wieder in Studien untersucht.
Ein Beispiel:
Diese Studie zu lesbischen / bisexuellen Frauen, wo ein Zusammenhang zwischen verinnerlichter Homophobie und Bluthochdruck hergestellt wird.
Ein weiteres Beispiel:
Diese Studie, die die allgegenwärtigen Rassismuserfahrungen von Schwarzen Menschen in den USA in Zusammenhang mit Bluthochdruck bringt.
Gewichtsdiskriminierung und die gesundheitlichen Folgen
Wie andere Formen von Diskriminierung durchzieht auch Gewichtsdiskriminierung - also die Diskriminierung dicker Menschen - den kompletten Alltag von Betroffenen.
Und genauso wie andere Formen von Diskriminierung löst Gewichtsdiskriminierung auch eine Menge Stress aus - der dann der körperlichen und psychischen Gesundheit dicker Menschen schadet.
Diese gesundheitlichen Folgen von Diskriminierung werden aber kaum anerkannt - stattdessen wird in der öffentlichen Diskussion und auch in medizinischen Kreisen immer noch ein höheres Körpergewicht als alleiniger Grund genannt.
Aubrey Gordon schreibt dazu in ihrem Buch „What we don´t talk about when we talk about fat“:
„Despite a mountain of evidence linking physical and mental health to social discrimination, the conversation about fat and health stubbornly refuses to acknowledge the possible influence of stigma in determining fat people´s health. Decreasing stress improves blood pressure and our reactions to stress can significantly increase the risk of high blood pressure, heart attack, stroke and other medical problems.“
(Quelle: Aubrey Gordon (2020: S.52)
Auf Deutsch:
„Trotz einer Fülle von Beweisen für den Zusammenhang zwischen körperlicher / psychischer Gesundheit und Diskriminierung weigert sich die Diskussion über Fett und Gesundheit hartnäckig, den möglichen Einfluss von Stigmatisierung auf die Gesundheit dicker Menschen anzuerkennen.
Die Verringerung von Stress verbessert den Blutdruck, und unsere Reaktionen auf Stress können das Risiko von Bluthochdruck, Herzinfarkt, Schlaganfall und anderen medizinischen Problemen deutlich erhöhen.“
Diskriminierung kann also krank machen - und am Ende zu einer niedrigeren Lebenserwartung führen.
Auch dazu gibt es inzwischen große Studien:
„Menschen, die Gewichtsdiskriminierung erlebt hatten, hatten in einer Studie von 2014 mit 7394 Teilnehmer:innen zudem höhere Spiegel an C-reaktivem Protein, das als Biomarker für systemische Entzündungen gilt. In einer Studie von 2015 mit über 18.000 Teilnehmer:innen war Gewichtsdiskriminierung mit einem Anstieg des Sterblichkeitsrisikos um fast 60 Prozent assoziiert.“
(Quelle: Schleifer / Post, 2022: S. 67f.)
Diskriminierung und die Folgen für gute medizinische Versorgung
Neben dem krankmachenden Stress, der durch Diskriminierung entsteht, wirkt sich diese aber noch auf einer anderen Ebene negativ auf die Gesundheit dicker Menschen aus:
Dicke Menschen haben weniger Zugang zu guter medizinischer Versorgung - was viel mit fettfeindlichen Vorurteilen bei Ärzt*innen zu tun hat.
Ein Beispiel für eine Folge davon:
Essstörungen werden bei dicken Menschen viel, viel später diagnostiziert als bei dünnen Menschen.
In einem Artikel zitiert Michael Hobbes die Wissenschaftler*in Erin Harrop, die zu dem Thema mehrgewichtige Frauen mit Anorexie forscht:
„Thin women, Harrop discovered, take around three years to get into treatment, while her participants spent an average of 13 and a half years waiting for their disorders to be addressed“
(Quelle: Michael Hobbs, 2018)
Auf Deutsch:
„Harrop fand heraus, dass dünne Frauen etwa drei Jahre brauchen bis sie Behandlung erhalten, während ihre Teilnehmer*innen im Durchschnitt 13,5 Jahre darauf warteten, dass ihre Essstörungen behandelt werden.“
Was außerdem negative gesundheitliche Folgen hat:
Aufgrund der Diskriminierungserfahrungen, die viele dicke Menschen im medizinischen Bereich machen, gibt es die Tendenz, später zum Arzt zu gehen bei gesundheitlichen Problemen oder für Vorsorgeuntersuchungen:
Dazu noch mal ein Zitat von Michael Hobbes:
„Three separate studies have found that fat women are more likely to die from breast and cervical cancers than non-fat women, a result partially attributed to their reluctance to see doctors and get screenings.“
(Michael Hobbs 2018)
Auf Deutsch:
„Drei verschiedene Studien haben ergeben, dass dicke Frauen mit größerer Wahrscheinlichkeit an Brust- und Gebärmutterhalskrebs sterben als nicht-dicke Frauen. Ein Ergebnis, das zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass sie sich scheuen, zum Arzt zu gehen und sich untersuchen zu lassen.“
Diese Tendenz, also später zum Arzt zu gehen, kenne ich auch aus meinem Leben. Ein Beispiel:
Ich vermeide es seit über einem Jahr einen Vorsorgetermin zum Thema Brustkrebs zu machen. Die Ärztin, zu der ich üblicherweise gehe und bei der ich mich wohl fühle, kann diese Untersuchung nicht machen.
Ihre Kollegin in der gleichen Praxis hat die erforderliche Qualifikation für die Vorsorgeuntersuchung - aber ich hatte mit ihr zwei sehr unangenehme Erfahrungen. Die zweite Situation war durchzogen von so viel offensichtlicher Fettfeindlichkeit, dass es mir nach dem Arztbesuch richtig schlecht ging.
Daher vermeide ich die Vorsorgeuntersuchung und hoffe, dass es keine negativen Auswirkungen auf meine Gesundheit hat.
Fazit
Wenn die Sorge um die Gesundheit dicker Menschen ernst gemeint wäre, müssten wir etwas gegen Gewichtsdiskriminierung tun.
Da dazu aber kaum etwas passiert und die Diskussionen sich weiterhin fast ausschließlich um hohes Körpergewicht als Risikofaktor drehen, entsteht bei mir wieder die Frage:
Geht es wirklich um Gesundheit oder geht es um die Abneigung gegenüber bestimmten Körpern - und den Wunsch, dass es diese Körper am besten gar nicht geben soll?
Zum Weiterlesen
Gordon, Aubrey (2020): What we don´t talk about when we talk about fat
Hobbes, Michael (2018): Everything you know about obesity is wrong
(Warnung für unsensible Sprache: Der Artikel ist an vielen Stellen wirklich gut, aber er verwendet leider durchgehend das Wort „obesity“, also „Adipositas“)
Schleifer, Petra & Post, Antonie (2022): Gesundheit kennt kein Gewicht